Ausgesprochen vorlesen

Dieser Blog Post hat Vorlesen zum Thema. Aber was hat die Albertina in Wien damit zu tun? Sehr viel!

Im November 2019 haben Frau Prof. Ingrid Amon, Präsidentin von stimme.at, und Frau Mag. Ines Groß-Weikhart, Leitung Kunstvermittlung und Tourismus Albertina, zum Vorlesefest in die Albertina eingeladen. Es wurde dabei Kunst mit Literatur verbunden: Vor einem Kunstwerk wurde von einem stimme.at Mitglied aus einem dazu passenden Buch vorgelesen. Ein Kunstvermittler spann im Anschluss daran, mit Hintergrundwissen und Fakten, gemeinsam mit den eingeladenen Kindern den Bogen zum Bild. Es war für alle Beteiligten ein wirklich wunderbarer Nachmittag!

Immer wieder wird Vorlesen propagiert. Aber was macht Vorlesen? Und was macht es aus logopädischer Sicht so wertvoll?

Als erstes soll es Spaß machen! Den ZuhörerInnen und den Vorlesenden. Den ZuhörerInnen, weil sie in andere Welten eintauchen, gedanklich auf Reisen gehen, Neues erfahren und die Fantasie spielen lassen können. Die Vorleser tun dies ebenso, aber sie können die Geschichten auch noch zum Leben erwecken. Durch Flüstern, durch Schnauben, durch atemloses Vorlesen, durch Änderung der Lautstärke, durch andere Stimmlagen und das kann wirklich Spaß machen!

Vielleicht können Sie sich an eine Vorlesesituation in Ihrer Kindheit erinnern? An die wohlige Atmosphäre, das entspannte Zuhören, die vertrauensvolle Stimmung und die ruhige Stimme? Kinder genießen dieses Gefühl der Geborgenheit, der Zuwendung und der Zeit, die ihnen dabei gewidmet wird.

Was unterstützt Vorlesen aus logopädischer Sicht?

  • das Sprachverständnis. Kinder erfahren aus Geschichten neue Ausdrücke und erweitern damit ihren Wortschatz. Im Gegensatz zu einem Hörbuch können sie sofort nachfragen, wenn sie etwas nicht verstehen. Ebenso erhalten Sie als Vorleser ein Feed Back ob ihr Kind den Inhalt verstanden hat, wenn Sie dazwischen eine Frage stellen.
  • das Lösen von Problemen. Es gibt schon sehr viele Bilderbücher und Bücher auf dem Markt, die Alltags Themen zum Inhalt haben: Streit mit Freunden, keinen Freude in der Schule, Auswege aus brenzligen Situationen, u.v.m. Oft können solche Bücher zu einem helfenden Gespräch führen.
  • die Entwicklung von Bildern. Wenn Kinder eine Geschichte zum ersten Mal hören, tauchen sie noch nicht komplett hinein. Sie müssen sich erst einmal damit anfreunden, vielleicht auch überprüfen ob ihnen die Geschichte gefällt. Aber wenn sie ihnen gefällt, können sie sie gar nicht oft  genug hören! Sie lieben Wiederholungen. Denn diese lassen, ihre eigenen Bilder immer wieder zum Leben erwecken.
  • die Lauterkennung und den Satzbau. Jede Geschichte hat einen anderen Stil und damit eine bestimmte Wortwahl und Satzbau. Denken Sie an den Unterschied eines Sachbuches zu einem Feenmärchen. Oder ob es sich um ein Abenteuer oder eine Erzählung in Gedichtform handelt. Diese unterschiedlichen Genres bekommt Ihr Kind so nebenbei mitgeliefert.
  • den Aufbau von Geschichten. Einleitung- Höhepunkt-Schluss. So soll ein Erlebnisaufsatz, Inhalt der ersten Deutschschularbeit, aufgebaut sein. Und so sind viele Bilderbücher und Bücher für Kinder aufgebaut.
  • die Vorbereitung zum selbständigen Lesen. Vielleicht wird durch das viele Vorlesen, die Lust am selber Lesen geweckt.
  • den sprachlichen Ausdruck. Kinder, denen viel vorgelesen wird, können häufig selbstbewusster mit Sprache umgehen.

Wie kann Vorlesen gut gelingen?

  • Gestalten Sie es als abendliches Ritual. Als schöne Vorbereitung zum Schlafen. Achtung: natürlich nicht zu spannende Geschichten auswählen sonst wird es nichts mit dem ruhigen Einschlafen. Die spannenden Abenteuer finden tagsüber, vielleicht am Wochenende, ihren Platz?
  • Das Niveau des Kindes einhalten und nicht überfordern! Versuchen Sie Bücher zu finden, die für die Entwicklungsstufe Ihres Kindes passend sind. Wenn Sie zu früh zu anspruchsvolle Geschichten wählen, verderben Sie Ihrem Kind den Spaß. Vielleicht für immer.
  • Nichts bezwecken wollen! Kinder merken s o f o r t ob die Geschichte eine „Förderung“ bezweckt oder ob sie wertfrei zur Freude vorgelesen wird und reagieren dementsprechend darauf. Spaß soll es machen!
  • Nicht meinen, dass Hörbücher eigenes Vorlesen ersetzen können. Sowohl als auch ist gut! Aber sprechen Sie mit Ihrem Kind über den Inhalt des Hörbuchs. Vielleicht ist etwas unklar oder es gibt  Ausdrücke, die dem Kind neu sind. Denn es kann anders als beim analogen Vorlesen, nicht sofort Nachfragen. Und bis es das Gehörte für sich entschlüsselt hat, wird natürlich ohne Rücksicht darauf, der Text weitergesprochen.
  • Nicht meinen, dass mit dem Zeitpunkt, wenn ein Kind selber lesen kann mit dem Vorlesen Schluss sein soll! Ich kenne Kinder, die es bis zu ihrem zwölften Lebensjahr geliebt haben, vorgelesen zu bekommen. Vielleicht nicht mehr regelmäßig jeden Abend, aber doch immer wieder.
  • Viele Eltern hoffen, dass durch das Vorlesen die Lust am selber Lesen geweckt wird. Das kann passieren, muss es aber nicht. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn es nicht passiert. Oder für die vermeintlich „falschen“ Büchern, wie Comics. Oft sind Comics der Einstieg zu weiterem Lesen, also bleiben sie gelassen. Seien Sie Ihrem Kind Vorbild indem sie selber Bücher lesen und wenn Sie beim Vorlesen an einer spannenden Stelle aufhören, vielleicht liest Ihr Kind dann doch selber weiter!?
  • Nehmen Sie Ihr Kind in die Buchhandlung oder die Bücherei mit, lassen Sie sich beraten und Ihr Kind selber das Buch aussuchen. Auch wenn Sie von der Auswahl nicht begeistert sind, Ihr Kind könnte es sein. Und wenn nicht? Auch Erwachsene kaufen hin und wieder Bücher, die doch nicht nach ihrem Gechmack sind. Auch daraus kann man lernen.
  • Vielleicht ist aber auch ein Tipp von Kind zu Kind hilfreich!? Unter “ Infos teilen mit Adam“ bespricht ein elfjähriger Wiener Bub Bücher, die ihm besonders gut gefallen haben. In diesem Fall: Ronjas Räubertochter.

Und wer liest uns Erwachsenen vor?

Hörbücher und Podcasts sind unsere Vorleser. Aber warum nicht auch jetzt noch vorlesen? Ich kann mich noch sehr gut an eine Autofahrt von München nach Wien, vor vielen Jahren, erinnern. Um die Zeit zu verkürzen, habe ich meinem Mann während der Fahrt aus „Jules und Jim“ von Henri Pierre-Rochè vorgelesen. Lange her, aber in Erinnerung geblieben!

Haben Sie eine gute Zeit!

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