Ausgesprochen ungesprochen!

Was passiert mit Stimmen, die längere Zeit nicht benutzt wurden?

Sie rosten ein.

Warum?

Unsere beiden Stimmlippen sind zwei Muskelstränge, die von Bindegewebe und Fascien ummantelt werden und so, wie bei einem Gipsbein, müssen auch diese nach längerer Inaktivität trainiert werden.

Wie kam ich zu der Idee über dieses Stimmproblem zu schreiben:

Auf die Idee gebracht hat mich eine Studie an Zebrafinken, die unter der Leitung der Biologin  Iris Adam von der süddänischen Universität Odense durchgeführt wurde, mit dem Titel: „Warum Vögel ständig singen (müssen)“. Ich lese so ziemlich alles, was über Vögel publiziert wird mit großem Interesse und der letzte Absatz hat zu diesem Blog Post geführt.

Der Inhalt der umfangreichen Studie in ein paar Sätzen zusammengefasst:

Zebrafinken Weibchen hören SOFORT ob die Stimme eines Zebrafinkenmännchens trainiert ist oder nicht, und wenden sich lieber dem aktiven Männchen zu. Schon nach 7 gesangslosen Tagen, haben die StudienautorInnen herausgefunden, lässt die Stimmleistung drastisch nach. Um nicht ohne Weibchen da zu stehen, müssen Zebrafinken Männchen daher ständig singen und ihre Stimme trainieren.

In besagtem letzten Absatz meinen die StudienautorInnen, dass sich diese Erkenntnis auch auf die menschliche Stimme umlegen lassen müsste.

Und das kann ich nur unterschreiben. Die Stimme möchte und muss trainiert werden. Bei Stimmprofis wie SängerInnen genauso, wie bei jedem anderen Menschen.

Doch wo finden sich untrainierte Stimmen?

Diese Stimmen finden sich vor allem bei älteren, alleine lebenden Menschen, wie ein aktueller Fall in meiner Praxis zeigt:

Frau Berger (Name von mir geändert),76a, lebt schon viele Jahre glücklich alleine. Nachdem ihr ihre Wohnung zu groß wurde, zog sie in eine neu gebaute Mehrgenerationen Wohnanlage um alleine unter Menschen zu leben. Ihre Überlegung war, dass sie schon ein gewisses Alter erreicht hat und es doch nett wäre, nicht anonym wie bisher zu leben sondern eingebettet in einer Gemeinschaft. Ihr Alltag läuft großteils schweigend ab und auch ihr Beruf der Töpferei benötigte nicht viel Stimmeinsatz.

Eines Tages wollte sie nun vom Balkon aus einer Nachbarin zurufen, doch ihre Stimme brachte nur ein kraftloses Krächzen zusammen. Sie konnte sich nicht bemerkbar machen. Das machte ihr große Sorgen und so kam sie in meine Praxis um sich Hilfe zu holen.

Sie ist nicht die erste allein lebende ältere Patientin, die Stimmprobleme bemerkt hat und ihre Symptome stimmen mit den Symptomen, meiner anderen Patienten und Patientinnen überein:

SYMPTOME:

  • In einer Situation wo die Stimme lauter verwendet werden sollte, funktioniert sie nicht
  • Bei Gesprächen, die länger dauern, wird die Stimme heiser, wie zum Beispiel bei einem Kaffeetratsch oder
  • Bei Gesprächen mit lauten Umgebungsgeräuschen, wie in hallenden Restaurants oder bei Familien-/ Feiern mit vielen Gästen
  • Beim Telefonieren kann die Lautstärke auf Dauer nicht erhöht werden und die Stimme bricht ab
  • Die hohen Töne bei den Kirchenliedern oder Kinderliedern können nicht mehr gesungen werden
  • Durch Singen im Chor kommt es zu Stimmermüdung

Die angeführten Symptome stören den stimmlichen Alltag sehr, belasten die Betroffenen, und um die Stimme zu verbessern, werden diverse Strategien ausprobiert. Aber helfen diese?

Selbstversuche um die Stimme zu verbessern:

  1. Räuspern

Da die Stimme durch die langen Schweigephasen nicht sofort KLAR anspringt, wird oft geräuspert um diese „zu starten“. Doch Räuspern belastet die Stimme mehr, als dass es ihr hilft.

  • Stimmlage erhöhen

Unbewusst bemerken die Betroffenen, dass eine höhere Stimmlage zu einer klareren Stimme führen. Doch eine höhere Stimmlage erzeugt mehr Druck auf den Stimmlippen, der diese auf Dauer schwächt.

  • Lauter Sprechen

Lauteres Sprechen erzeugt ebenfalls eine klareren Stimmklang, doch ist es noch anstrengender als höheres Sprechen und führt rasch zu einer Stimmermüdung oder auch heiseren Stimme.

Welche Übungen helfen wirklich? Was kann man tun?

Die Stimmlippenmuskulatur muss trainiert werden, nur dann kann die Stimme leicht und ohne Aufwand wieder eingesetzt werden.

Das heißt:

Stimmübungen in der Früh erfreuen jede Stimme. Damit wird die Stimmlippenmuskulatur massiert, gut durchblutet und die Stimmlippen aufgewärmt.

Wenn man jetzt keine Stimmtherapie (ge)macht hat und Übungen kennt, dann hilft schon ein sanftes nicht zu hohes Summen einer kleinen Melodie. Leise und ohne Druck summen und mit häufigen kleinen Atemportionen.

Sprechübungen:

Es spricht Nichts dagegen, einen Artikel aus der Zeitung in der Früh laut vorzulesen. Vorzugsweise NACH dem Summen und auch nicht zu lange. Drei Minuten zu Beginn und dann langsam auf bis zu fünfzehn Minuten steigern.

Täglich gemacht wird die Stimmlippenmuskulatur trainiert und die Stimme ermüdet nicht so rasch.

OHNE Räuspern zu sprechen beginnen. Unter Umständen klingt die Stimme zu Beginn des Satzes nicht sofort klar, aber das macht nichts. Dieser raue Klang verspielt sich nach ein paar Sekunden und das schädigende Räuspern konnte vermieden werden!

Genügend Wasser trinken! Oft wird das auch aus anderen Gründen älteren Menschen empfohlen und aus logopädischer Sicht kann ich das nur unterstreichen: pralle Muskelzellen erleichtern nicht nur den Stimmlippen ihre Arbeit.

Als Großeltern die Vorlesezeiten für die Enkel stimmlich genießen. Bei Stimmeinschränkungen vermeiden Sie bitte zu heftige Stimmwechsel von Prinzen, Hexen und wispernden Mäuschen. Wenn Sie sich ihrer Stimme sicher sind, können Sie wieder variantenreicher werden.

Meine Patientin hat sich von mir Unterstützung geholt, macht ihre individuellen Lockerungs- und Summübungen, vermeidet Räuspern und weiß jetzt durch die Stimmtherapie worauf sie bei ihrer Stimme achten muss. Sie hat einen aufmerksamen und behutsameren Umgang mit ihrer Stimme erlernt und kennt ihre Grenzen.

Was mich besonders freut ist, dass sie sich jetzt stimmlich so sicher ist, dass sie die ehrenamtliche Aufgabe einer Lesepatin an einer Wiener Schule übernommen hat.

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